ÄLTEREN BESUCHERN DER AUSSTELLUNG KAMEN ERINNERUNGEN

Kleine Stofftaschen aus dem Offiziersgefangenenlager in Rotenburg,

die von den Gefangenen selbst gewebt und bestickt waren, lagen im April 1945 in dem Erdloch hinter der Jakob-Grimm-Schule; zwei davon wurden von der damals 10-jährigen Anneliese S. aus der Brotgasse entdeckt und dienten ihr viele Jahre als Behälter für Taschentücher und Perlonstrümpfe.

In dem 1934 durch einen Erdfall entstandenen riesigen Erdloch am westlichen Rand des JGS-Schulgeländes wurde auch der 1940 angelegte Stacheldrahtzaun entsorgt, ebenso die mehrere tausend Bände zählenden Lager-Bibliothek.

.............................................................................................................................................

 

Als eine damals 11-jährige Rotenburgerin diese Ausstellungstafel (hier abgebildet das obere Drittel) sah, wurde sie sofort an über 70 Jahre Zurückliegendes erinnert:

"Ich war mit meiner Mutter 1943 aus Düsseldorf als Evakuierte nach Rotenburg gekommen. Im gleichen Jahr - es kann aber auch bereits 1944 gewesen sein - war ich eines Tages mit meiner Mutter bis nach Ersrode unterwegs, um zu hamstern, uns also etwas Essbares von den Bauern zu erbetteln. In einem Korb trug meine Mutter die mildtätigen Gaben nach Hause. So etwa auf der Höhe von Gut Ellingerode begegnete uns eine Gruppe junger Offiziere. Wie sich bald herausstellte, waren es britische Gefangene aus dem Offizierslager in der Jakob-Grimm-Schule, so etwa 30 bis 40 an der Zahl. Sie sahen uns wohl an, was uns zu unserem Ausflug veranlasst hatte. Meine Mutter kam mit einigen von ihnen ins Gespräch und sie wurden handelseinig: unsere Eier gegen ihre Zigaretten. Meine Mutter konnte auf dem weiteren Weg nach Rotenburg der reichlich verdutzten Tochter klarmachen: die Eier reichen vielleicht für zwei Mahlzeiten, mit den Zigaretten kriegen wir in Rotenburg Lebensmittel für ein paar Tage. Übrigens, die zwei oder drei Wachen schienen sich für das Tauschgeschäft nicht sonderlich zu interessieren, obwohl es doch in der Schule und überall hieß: Null Kontakt mit den gefangenen Offizieren, das sind unsere Feinde." 

.....................................................................................................................................................................................

 

 

Ausschnitt aus der Ausstellungstafel "Neuseeländer und Australier" mit der Karikatur von Unteroffizier Leslie Robertson aus Australien als Schlittschuhläufer

 

Hartmut Schurian, geb. 24.01.1935 in Rotenburg, erinnert sich an seine Kindheit in Rotenburg. Die Familie wohnte in der Kasseler Straße auf der rechten Fuldaseite. Das Folgende bezieht sich zunächst auf den Winter 1945/46, dann auf den Winter davor, als er die in der Jakob-Grimm-Schule Gefangenen bei ihren Schlittschuh-Runden wahrnahm, nachdem sie auf  dem Schulhof eine Eisbahn angelegt hatten. Die Karikatur auf der Ausstellungstafel lieferte ihm eine Bestätigung:

"Über der Bahn und einen Acker hin der Fluss. Einige Kiesteiche nicht weit, im Winter vereist. Kinder rutschen dort, einige haben Schlittschuhe, wir haben auch ein Paar, mit einem Schlüssel an den Sohlen, Absatz anzuschrauben. Ich lerne das nie richtig. Auf den Teichen erscheinen irgendwann Kinder, Große mit Schlittschuhen ganz anderer Art, mit einem eleganten Schuh über der Kufe. Sie stammen aus dem Gefangenenlager für alliierte Offiziere, das während des Krieges in der Oberschule, dem späteren Gymnasium gegenüber eingerichtet war.

Die Schule wurde umquartiert. Wir hatten die Offiziere von ferne auf dem Schulhof ihre Runden drehen gesehen, sie hatten sich eine Eisbahn angelegt. Die Offiziere wurden privilegiert behandelt, ich dachte, so ginge es überall in deutschen Lagern zu. Welch ein Irrtum. Sie waren dennoch Gefangene und versuchten mehrfach auszubrechen.

Als ich später in dieses Haus, das Gymnasium gehe, wird uns in der Turnhalle noch eine Spur eines der Ausbruchsversuche gezeigt [...].

Nun ist der Krieg zu Ende, das Lager aufgelöst, die Menschen bedienen sich,

wo niemand kontrolliert, und so auch bei den Schlittschuhen."

 .....................................................................................................................................................................

 

Günter Ermel, Jahrg. 193x:  Erinnerungen an das Offiziersgefangenenlager in Rotenburg (Auschnitt) :


"Die Gefangenen sprachen häufig gut deutsch und erzählten meinen Eltern, obwohl der Kontakt mit ihnen ja verboten war, dass die Bauerei [am sog. Schwedenhaus für Pfarrer Celander, YMCA- und Rot-Kreuz-Mann, H. N.] eine willkommene Abwechslung in ihrem eintönigen Gefangenendasei darstellte. Auch nach Fertigstellung des Gabäudes, dessen Holzfertigteile aus Schweden kamen, waren sie noch oft auf dem Gelände des Hauses mit Pflegediensten beschäftigt. Gelegentlich besuchten sie dann auch meine Großmutter in unserem gegenüberliegenden Garten in der Ludwigstraße und unterhielten sich mit ihr. Dabei fiel mir auf, dass sie gern Johannisbeeren aßen.

 

Da wir das Gefangenenlager mit Brot belieferten, kammen sie 2 x wöchentlich mit Lkw und Landser-Bewachung zu seiner Abholung. Es handelte sich dabei um sogenanntes "Kommißbrot", was nichts anderes war als im Backofen eng aneinander geschobenes, übliches Roggenbrot, was dadurch dann seine rechteckige Form erhielt. Bei der Abholung unterhielten sie sich meistens mit meinem Vater.

 

Der war als Bäckermeister, dessen Bäckerei für die Brotversorgung von Rotenburg-Neustadt und Braach verantwortlich war, "u. k." [= unabkömmlich]  gestellt. Ihm zur Seite standen ein deutscher Altgeselle, ein französischer Kriegsgefangener und ein polnischer, dienstverpflichteter Jungendlicher. Für die Altstadt usw. war zuständig Bäckermeister Metz und seine Bäckerei. Alle anderen Bäckereien waren geschlossen.

 

Ein Zusammentreffen mit den Engländern ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich saß im Büro am Schreibtisch und machte Schulaufgaben, als mein Vater mit Engländern hereinkam. Alle blieben vor der großen, an der Wand hängenden Landkarte stehen, auf der das "Großdeutsche Reich" rosarot eingezeichnet war. Einer der Engländer legte dann seine rechte Hand auf Deutschland und umkreiste es mit der linken Hand in einem großen Bogen. "Das wenige hier ist Deutschland und alles rundherum sind seine Feinde und deshalb werdet ihr verlieren", sagte er. Ich war so geschockt, dass ich die Antwort meines Vaters gar nicht mehr registrierte.

 

 Sofort nach dem Abgang der Engländer fragte ich ihn empört, warum er den Engländer nicht sogleich habe erschießen lassen wegen seiner Frechheit. Das sei ja eine Unverschämtheit gegen unseren Führer gewesen. Seine Antwort habe ich vergessen."

 ....... ...................................................................................................................................................................................................................